Heute ist Nationalfeiertag in Norwegen - der höchste Feiertag im Land. Den ganzen Tag werden sie feiern, winken und auf mich warten, um mich begrüßen zu können! Hoffentlich schaffe ich es heute noch bis dahin.
Der kalte Fahrtwind treibt mir die Tränen in die Augen, aber die Schutzbrille mag ich doch nicht aufsetzen. Ich mag es, Wind und Wetter zu spüren, die Natur um mich zu sehen, zu riechen, zu fühlen. Reisen ist doch das Schönste! Dabei ist man wirklich am ehesten im Hier und Jetzt. Freiheit und Abenteuer. Auf den weiten einsamen Straßen können die Gedanke fliegen und dennoch bin ich hier und erlebe jeden Moment. Die Gefühle, die im hektischen Alltag unter den Teppich gekehrt werden, kommen jetzt zum Vorschein. Gute und schlechte Gefühle. Sehnsüchte und Träume. Freude, Trauer, Dankbarkeit. Sie überwältigen mich - ich gebe ihnen Zeit und Raum hier.
Wiesen und Wälder sind hier überschwemmt - es wäre doch gut, wenn man dieses Stückchen Erde mit einem passenden Stück afrikanischer heißer Wüste mischen könnte. Dabei käme sicher fruchtbarer Boden zustande - ein Vorteil für die Welt? Oder auch nicht, denn dann würde die Vielfalt und die einzigartige Schönheit mancher Orte verschwinden. Ist schon gut so, wie es ist.
Blauer Himmel mit weißen Federwölkchen aber arktische Temperaturen.
Bären sehe ich - und Elche und Vielfraße! Zumindest gaukelt mir das meine Wunschvorstellung vor. Die enttäuschende Wahrheit ist, was ich für wilde Tiere halte sind die Baumscheiben umgestürzter Fichten oder moosbewachsene Felsbrocken.
Die lange Unterhose, die ich heute erstmals zum Einsatz kommt, tut gute Dienste. Unter den dünnen Lederhose kann sie aber auch nicht die ganze Kälte abfangen. Ebenso habe ich es wohl mit dem dünnen Pullover etwas untertrieben und eine weitere Weste habe ich nicht eingepackt. Ich habe die Arktis wohl unterschätzt. Eigentlich sind mir diese Temperaturen jedoch lieber, als die letzten heißen Tage. Aber - ich habe es so gewollt, ich habe es so entschieden, also bibbere ich stumm vor mich hin. Hat Väterchen Frost Dich erstmal ein seinen eisigen Griff bekommen, dann lässt er Dich so schnell nicht wieder los.
Am Polarkreis sind sogar die Toilettenhäuschen beheizt! Ich will gar nicht mehr raus. In Jokkmokk tanke ich bei Hot Dog, heißem Kakao und einer Zimtschnecke wieder etwas Wärme auf. Die Griffheizung tut gute Dienste, so fein wie sie sich regeln läßt habe ich das noch bei keiner anderen Heizung erlebt. Hier oben sind fast alle Seen noch ganz oder größtenteils zugefroren. Der einsame Hof auf einer kleinen Insel wird derzeit wohl kaum bewohnt - um mit dem Boot hin zu kommen, ist das Eis noch zu dick, zum drüber laufen schon lange nicht mehr geeignet.
Hägar scheint sich wohl zu fühlen. Auf den graden Straßen lasse ich ihn laufen. Er rennt los wie ein junges Fohlen, immer wieder muss ich ihn bremsen. Ich habe wieder Vertrauen in ihn gefasst - und in meine Reparatur. Tja, was man nicht selber macht..... Mein Mißtrauen gegenüber "Fachpersonal" hat neue Nahrung bekommen.
Vägskada - Straßenschäden! Verkündet ein Schild. Ist doch UNS wurscht, Hägar. Oder? Oder doch nicht? Hägars Bodenfreiheit wird durch die Unterbodenbefestigung des Schneeschiebers begrenzt. Prompt ertönt mehrfach kreischendes Kratzgeräusch, als wir elanvoll über Bodenwellen und tiefe Schlaglöcher fliegen wollen. Das Fahrwerk ist ziemlich weich gefedert und die Ballonreifen tragen ihr Übriges zu einem schwammigen Fahrverhalten bei. Ein schnelles Ausweichmanöver um Schlaglöcher herum ist kaum möglich. Des öfteren fängt Hägar bedenklich an zu schwimmen. Ich muss kräftig arbeiten, aber wir fangen uns jedes mal wieder.
Ab Kiruna gibt es keine Tankstelle mehr bis kurz vor Liland. Meine Hoffnung, vor der Grenze nochmal eine Station zu finden, zerschlagen sich leider. 200 km ohne Tankstelle? Das geht nicht. An der Grenze werden wir nicht angehalten - wo ich mir doch soviel Erklärungsgeschichten für alles Mögliche ausgedacht habe. Da hätte ich ja ruhig auch noch eine Kiste Bier mit schmuggeln können.... Mein Ofotfjord begrüßt mich mit Regenwolken und ein paar Tröpfchen. Mitten im Tunnel geht uns dann endlich der Sprit aus, 8 km vor der nächsten Tankstelle. Peinlich...
Um halb zehn (also nach ca. 12 h Fahrt) erreiche ich meine schnee- und eisfreie Heimat. Am Fuße von Anne-Lises und Björns Hütte halte ich an und hupe kurz - sie hören es und kommen heraus. Wir rufen uns ein paar Begrüßungsworte zu und verabreden uns für morgen abend.
Die Strecke
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