Dienstag, 15. Mai 2018

Doppel-Crash

Kurz vor Mitternacht ist gestern abend tatsächlich noch jemand im Haus aufgetaucht. Ein sonderbarer Typ. Angeblich wohnt er seit einigen Monaten hier, "bis er was eigenes findet". Er trägt eine starke Fahne vor sich her, versucht aber sehr höflich zu sein und smalltalk zu machen. Ziemlich unbeholfen. Auch die Bezahlung ist ein Akt für sich: ich dachte, über die Buchungsplattform wäre das Zimmer schon bezahlt und ich müsste nur noch das Frühstück zahlen. Hat mir der Typ geglaubt. Da ich aber keine schweidschen Kronen habe und er als einzige Zahlmethode "swish" kennt (online-Bezahlung nur in Schweden), kann ich wohl nicht bezahlen. So will er mir das Frühstück einfach schenken. Später stelle ich fest, dass ich alles vor Ort zahlen muss. Morgens erkläre ich ihm also alles. Kurz und gut - ich bezahle in € und lasse mir das Wechselgeld in Kronen geben. Jede Angabe, diew ich ihm mache akzeptiert er, auch wenn ich mich ordentlich verrechne. Ich glaube, der kann gar nicht rechnen.
Ich hatte gestern versucht, während der Fahrt joghurt zu produzieren, das war wohl nix. Der nächste Versuch über Nacht hat ebenfalls nur vergorenes Zeug produziert - vielleicht kann ich das Zeug ja als Kuhmischschnaps verkaufen? Oder wegschütten.

Abfahrt 8:30. Bereits nach 3 km mag Hägar nicht mehr - schon nach 138 km hat er leer gesoffen! Und das nur gut 1 km von der Kneipe entfernt - das hättest Du aber noch schaffen können.... Falls er mal über Nachwuchs nachdenken sollte, werde ich ihn wohl mit einem Kamel kreuzen, wegen des Fassungsvermögens....
Die nächste Tankstelle nach widerum ca. 130 km ist kaum zu finden. Ich weiß, daß hier eine Tanke sein muss, aber die einsame Zapfsäule versteckt sich zwischen Tanks und Hütten auf einem großen LKW-Parkplatz, total unauffällig.
Über Mora hängt ein feiner Staubschleier; die Straße wurde abgefräst und nun wirbelt der feine Schleifstaub durch die Luft.

Hägar rollt und rollt - für seine kurzen Beinchen (kleinen Räder) läßt er es ordentlich krachen. Die Landschaft wird langsam karger, statt Äckern und Wiesen gibt es jetzt Felsen, Pfützen und Moor. Mückenbrutplätze! Unmerklich sind wir gestiegen, auf ca. 500 Höhenmeter liegen tatsächlich noch letzte Schneereste, obwohl es so warm ist, daß ich schon alles (inklusive Futter in der Jacke) ausgezogen habe, was möglich ist.

Bei km-Stand 3374 um halb zwölf ca. 5 km südlich von Ytterhogdag passiert es: ein schrecklicher Schlag gefolgt von lauten Geräuschen. Sofort rolle ich natürlich rechts ran, zum Glück mündet hier gerade ein Waldweg. Es ist heiß und die Sonne knallt auf die Straße. Ich vermute, dass der Antriebsriemen gerissen ist. Jetzt, wo ich die letzten Minuten revue passieren lasse, kommt es mir auch so vor, als ob ich kurz zuvor einen leicht verbrannten Geruch wahrgenommen hätte. Entgegen den Empfehlungen meines Händlers habe ich auf jeden Fall einen Ersatzriemen mitgenommen - ich wußte, wenn der reißt bin ich verloren. Den gibt's hier sicher nicht einfach irgendwo zu kaufen....
Leider war ich nicht aufmerksam genug und bin werkzeugtechnisch nicht ausreichend ausgestattet. Beim letzten Kundendienst habe ich gelernt, was man benötigt - und das ist leider nicht im Bordwerkzeug enthalten. Einen 8-Steckschlüssel und eine lange M6-er Schraube.
Immerhin habe ich vorsichtshalber einen Auslandsschutzbiref abgeschlossen - soweit habe ich also schon mal (fast) alles richtig gemacht. Die Hotline ist zwar total besetzt, aber Smartphone kann heutzutage einfach alles: ich kann online einen Antrag ausfüllen (allerdings muss ich einen Blödsinn eingeben, weil die Standardvorgaben nicht passen). Kurz darauf werde ich tatsächlich zurückgerufen und der freundliche junge Mann verspricht, sich um Hilfe zu kümmern. Mittlerweile setze ich mich im Wald in den Schatten und hoffe, daß Hägar sich ausreichend abkühlt, um nachher zu schrauben.

Nach etlichen Telefonaten und Wartezeit erreicht mich nach 3 Stunden ein Abschleppwagen. Hier kann man das angeblich nicht reparieren - er muss mich nach Sveg fahren, dort ist eine Quadwerkstatt. Rasch ist Hägar mit dem Anhänger aufgeladen, das Auto ist gerade lange genug, um das Gespann aufzunehmen. Die Fahrt dauert ca. 1 Stunde und ist kurzweilige, weil Ragnar mich gut unterhält. Dann werden wir bei einer großen Quad- und Schneemobil-Werkstatt abgeladen. Während die Monteure - die meinetwegen extra länger dageblieben sind - schon schrauben, erstellt Ragnar die Rechnung mit einem Computer, der im Auto montiert ist. Das ist wohl eher nicht seine Stärke, denn es dauert ziemlich lange, bis er alle Daten eingegeben hat. Die Versicherung zahlt wohl nur einen bestimmten Betrag, so dass ich selbst noch ca. 180 € zahlen muss. Weg ist er.
2 Monteure haben sich bereits über Hägar her gemacht - die ursache ist wie vermutet ein gerissener Antriebsriemen. Mit dem Schlagschrauber muss man ein Riemenscheibenpaar ausbauen - da hätte ich mit meinem bissel Werkzeug auf der Straße alt ausgesehen. Große Teile des Riemens fallen in Stücken, in Staub oder in großen Flocken heraus. Der größte Teil aber mit den eingelegten festen Schnüren hat sich schrecklich fest um die Riemenscheibe gewickelt. Es dauert ewig, bis der Mechaniker in vollständig entfernt und abgeschnitten hat. Die Scheiben werden gereinigt und angerauht, damit der neue Riemen nicht gleich wieder rutscht. Vorsichtshalber nehme ich hier gleich wieder einen Ersatzriemen mit - er kostet mich 200 €. Die Mechanikerstunde schlägt mit 80 € zu Buche. Das heißt: 5 Stunden und 500 € verloren - eine teure Lektion.

Vorsichtig fahre ich vom Hof und lausche auf die Geräusche. Manchmal meine ich, etwas sonderbares zu hören, aber das legt sich. Hier gibt es eine Tanke und einen Supermarkt, in dem ich mich jetzt mit guten Dingen verwöhne und auch etwas reinigen kann. Außerdem klaue ich von den Eiswürfeln, auf denen das frische Obst gekühlt wird, meine Milchvorräte haben es nötig.

Guten Mutes machen wir uns wieder auf die Socken. Wir können ja in die Nacht hinein fahren? Es wird ja kaum noch dunkel und außerdem kann ich mein Zelt ja überalle aufstellen. Wir haben trockenes Wetter. Meine Hotelbuchung in Strömsund habe ich daher gestern schon storniert, mit der Ausrede, ich hätte eine Panne. Die heimliche Hoffnung war, dass mir dann die Stornogebühren erlassen werden. Hat funktioniert. Aber das mit der Panne eben leider auch. Mal schauen, wie weit ich heute noch komme, die Pläne sind groß. Einen Pass bis auf 700 m muss ich Hägar mühsam hochkämpfen, aber er schafft es.
Das erste Rentier für diese Reise schaut mich gelangweilt aus großen Augen an, als ich wegen ihm anhalten muss. Ein Fuchs flüchtet vorsichtshalber und irgendwo treibt sich eine Fasanenhenne herum.

Um halb acht senkt sich die Sonne langsam. Es wird langsam kühler, fast schon angenehm. Eine Temperaturanzeige zeigt noch 28 Grad! Derweil erfriert meine Schwester auf Ihrer Radtour durch Frankreich fast. Verrückt! Erst eine Stunde später ist meine optimale Reisetemperatur erreicht. Die tiefstehende Sonne taucht die Welt in ein schönes Licht. Mir geht es gut.
Ich lasse Hägar jetzt nicht mehr so schnell laufen - ab 80 passe ich auf und über 90 darf er nicht mehr. Trotzdem geshieht das Unfassbare - ein Schlag, die Räder blockieren, der zweite Riemen ist gerissen! Das gibt's doch gar nicht! So'n Sch..... Es ist halb zehn Uhr abends (km 3535). Und jetzt? Den Pannendienst oder die Versicherung brauche ich jetzt wohl nicht mehr anrufen. Wir sind am Berg liegen geblieben, ca. 300 m vor einer Einfahrt. Von dort kommt gerade ein Straßenfahrzeug auf mich zu. Vielleicht kann der mich bis zu der Einfahrt abschleppen? Und vielleicht kann ich dort erstmal übernachten? Vielleicht hat er ja auch Werkzeug oder eine gute Idee? Ich winke und das Fahrzeug hält bei mir an. ein sehr dicker und ungesund aussehender Mann sitzt drin, er scheint kein Englisch zu verstehen. Er dreht um, hält hinter Hägar, schaut sich die Sache an und meint, er käme mit einem anderen Auto, um mich abzuschleppen. Er wohnt genau dort oben. Er hat eigentlich gar keine Chance, mir nicht zu helfen. Ich frage, und er hilft!
Wir werden bis auf einen Erdweg vor einem ziemlich vermüllten Anwesen geschleppt. Der Mann - er heißt Anders - hat ein klein wenig Werkzeug. Genug, um die Riemenabdeckung abbauen zu können. Hägar ist noch schrecklich heiß. Ziemlich routiniert arbeite ich - als ob ich das schon 1000 mal gemacht hätte. Ich wundere mich selbst. Anders sucht ständig ein passendes Werkzeug und zaubert auch immer wieder was hervor. Bei Pressluft muss er streiken, er hat zwar einen Kompressor, aber keinen Luftschlauch dazu. Während er sich mit dem Auto auf die Suche bei Freunden und Verwandten macht, reinige ich alles so gut es geht. Immer wieder fallen irgendwo neue Brocken heraus. Nicht gut. Mit Taschenlampen werden wir noch in der Dämmerung fertig. Hoffentlich hält es diesmal länger! Ob ich hier wohl mein Zelt aufbauen darf? Anders lädt mich ein, in seinem Bus zu schlafen - hier steht ein ausgedienter Reisebus, der zum Wohnmobil umgebaut ist. Das ist natürlich noch besser! Heute habe ich keine Ansprüche mehr. Und - obwohl Anders derzeit kein Wasser hat (die Pumpe vom Brunnen ist kaputt), bekomme ich genügend kochendes Wasser, um meinen nächsten Joghurt anzusetzen.

Müde und frustriert! Gute Nacht. Es ist schon nach 1 Uhr morgens :-(



Die Strecke


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